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                                         Der Aufstieg der Frau

zu Rosa Mayreders 70. Geburtstag

(herausg. von Käthe Braun-Prager, Diederichs, 1928)

 

AUSZUG

Mystik bei Rosa Mayreders Bildnis (von Robert Braun - S. 55)

Es zeugt für Rosa Mayreders hohe Bedeutung, daß ihre Philosophie, die von kulturellen Gegenwartsfragen ihren Ausgang nimmt, in der mystischen Gefühlswelt endigt. Um eine solche handelt es sich doch, wenn man das letzte Kapitel von "Geschlecht und Kultur" bedenkt, in dem als ein Ausweg aus heutigen Nöten die Überwindung des Geschlechtsgegensatzes gefordert wird. In der krassen Betonung des Männlichen oder Weiblichen bestehe die Schranke für den Aufstieg des Menschen und nur durch den Ausbau der dem entgegengesetzten Geschlecht zugehörigen Kräfte werde die Stufe erreicht, die seiner eigentlichen Bestimmung zukommt.

Sie selbst führt zur Verdeutlichung dieses Gedankens viele alte Lehren, darunter auch mystische, an. Es scheint mir aber nicht vorschnell geurteilt zu sein, diese ganze Haltung, die im Mann-Weiblichen den höchsten Seelenaufschwung versinnlicht, als rein mystisch zu kennzeichnen. Denn eine Haupteigenschaft der Mystik besteht im Vereinigen unüberbrückbar scheinender Gegensätze, ob sie nun verstandlicher oder gefühlshafter Natur sind, ein Grund, warum etwa der Mensch der Wissenschaft, der an das Entweder-Oder des logischen Widerspruchs gebunden ist, sie immer als Un-Sinn verketzert. Nun ist die hermaphrodisische Verbindung der Mann-Weiblichkeit nicht minder scharf der Wirklichkeit der geschlechtlichen Polarität, die so tief in den Lebensgrund jedes einzelnen reicht, entgegengestellt wie etwa die mystische Lehre, daß ein Wesen zugleich sein Kind und Vater sein könne, dem Gesetz von Ursache und Wirkung.

Vielleicht hat sich niemand des zwiegeschlechtlichen Geheimnisses für weltanschauliche Deutungen ausführlicher bedient als der Görlitzer Weise Jakob Böhme. Nach ihm ist Adam im Paradies mann-weiblich und gerade darin besteht seine Göttlichkeit. Weil er nicht von dem Zueinander- und Auseinanderstreben der beiden polaren Geschlechtsströme, in die die sündige Welt nach seinem Fall zerfällt, abgelenkt wird, kann er sein ganzes Wesen frei dem Spiel der Beschaulichkeit widmen; kann er allen Dingen ins Herz sehen und ihnen die Urnamen zuteilen. Diese Tätigkeit, in der sich die tiefste Innerlichkeit, die dem Menschen erreichbar ist, ausdrückt, bedeutet zugleich die Macht, Höchstes zu vermögen.

Nach dem "Apfelbiß" geht sie aber verloren. Die Jungfrau Sophia, die vorhin als die weibliche Kraft in Adam beschlossen war, und deren Liebe und "Süßes Anneigen" ihn zu geistlichen Zeugungen trieb, entflieht und läßt das Weib Eva als ihren von ihm getrennten Schatten zurück, deren Dasein zugleich die Verbannung von der paradiesischen und den Eintritt in die irdische Welt bedeutet. Seit diesem Ereignis befindet sich die Menschheit im Zustand der geschlechtlichen Trennung, obgleich Christus als der neue und zweite Adam den Weg, der zur Aufhebung des Gegensatzes führt, gegangen ist und den andern gewiesen hat. Die Zukunft bedeutet das Wiederfinden der Mann-Weiblichkeit oder die Rückkehr zum Engeltum, - eine Lehre, die an das Goethesche Wort anklingt, dem zufolge die Erde mit ihren keinen und großen Schicksalen nur eine Pflanzschule der Geister sei.

Wenn Rosa Mayreder diese uralte Weisheit gebraucht, um zum Heil heutigen Kulturelends das Ihrige beizutragen, so darf dies als ein Zeugnis sowohl ihrer Gedankentiefe wie ihrer Verantwortungskraft gelten. Tatsächlich findet man beides als für ihre Schriften charakteristisch: dies Sachlich-Reine, Ernst-Gründliche, auf überliefertes Menschheitsgut Bezogene, das aus dem noch tieferen Grunde des wahren Geistes stammt.

Robert Braun

 

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