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Der Aufstieg der Frau

zu Rosa Mayreders 70. Geburtstag

(herausg. von Käthe Braun-Prager, Diederichs, 1928)

 

Der Aufstieg der Frau von Hans Prager (S. 66)

Es hat seinen tieferen Sinn, wenn es dem weiblichen Geschlecht in der geschichtlichen Epoche des Abendlandes erst vor verhältnismäßig kurzer Zeit gelang, sich von unmittelbarer und verkappter Hörigkeit dem Manne gegenüber zu befreien und gesellschaftlich bis in die Nähe jener Gleichberechtigung aufzusteigen, die sich die Frauenwelt als ihr Ideal ersehnt. Hat jedes Volk die Regierung, die es verdient, so hat das eine Geschlecht billigerweise jenes Schicksal vom anderen zu erdulden, das es sich eben gefallen läßt. Es muß als im Wesen der weiblichen Natur begründet sein oder gelegen haben, daß es den angemaßten Ansprüchen des Mannes gegenüber zu schwach und zu passiv sich verhielt und daß erst spät der innere und äußere Befreiungsprozeß einsetzte. Sind schöpferische individuelle Kräfte nicht vorhanden oder nur schwach entwickelt, dann ist es nicht allein die Schuld des Unterdrückers, daß im Versklavten nichts zur Blüte kam, sondern es liegt ein Naturgesetz vor, welches aber wie alle auf Menschliches bezogene Gesetze nicht ehern, sondern änderbar ist: ist doch der Charakter das Reich der unbegrenzten Möglichkeiten. Die Ähnlichkeit im Elementaren, wodurch das individuell Weibliche stärker zusammengefaßt wird und die eine geringere Anzahl von einander verschiedener Frauentypen erzeugt als dies in der Männerwelt der Fall ist, erscheint offenbar als eine der Grundursachen, weshalb das Geschlecht der Mütter soviel historische Kraft aufspeichern mußte, damit es -–von dieser Kraft individualisiert und geprägt – an irgendeinem Tage seiner Geschichte zum Durchbruche seiner scheinbar unverrückbar gesetzten Grenzen gelangte. Das stark kollektive Wesen der Frau verhinderte solange ihren Aufstieg, bis aus der "Masse-Weib" schöpferisches Eigenleben sich absonderte und in führenden Frauen-Persönlichkeiten zur Gestalt und Wirksamkeit gelangte. Nie dringt man bis zum tiefinnersten Kern insbesondere jener geschichtlichen Ereignisse vor, die das Resultat anscheinend plötzlich auftretender neuer Bewegungen sind, in Wirklichkeit aber Erscheinungen schon lange andauernder anonymer Strömungen darstellen. So wird es immer schleierhaft bleiben, weshalb die abendländische Frau so spät sich individualisierte und damit neben dem Manne zum Repräsentanten des individuellen-historischen Gesetzes wurde. Ist ja in der Geschichte im Gegensatze zur Natur alles einmalig, unwiederholbar und Geschehen dem Geschehen gegenüber unvergleichbar. Die Geschichte zielt auf Persönliches und fordert es, die Natur schafft es, um es innerhalb ihrer kollektiven Tendenzen bloß zu dulden. Die Frauenfrage war und ist also nicht Schuld (im höheren Sinne) des Mannes, sondern Schicksal der Frau, von dem sie ein gnadenvoller Moment in ihrer Geschichte zu lösen begann. (Es bleibe dahingestellt, - ein Mann schreibt diese Zeilen! – ob diese "Lösung" auch eine "Erlösung" ist?)

War es also nicht launenhafte Willkür gewesen, die den Mann bis vor Kurzem in dem Besitz jener Machtmittel aller Art beließ, die ihn zum "Herrn" über das weibliche Geschlecht erhoben, lag somit dem verhinderten Aufstieg der Frau eine Ursache zugrunde, die mit der geschichtlichen Trägheit des kollektiven weiblichen Wesens verknüpft war, so erweist sich die Richtigkeit des Behaupteten aus folgenden zwei sehr bedeutungsvollen Tatsachen. Ein genauer Kenner von Rosa Mayreders Novellen und Romanen hat die feine Beobachtung gemacht, daß ihre Frauengestalten viel verschwimmend und bläulich Typisches enthalten, während dagegen die männlichen Personen stark individualisiert sind. Dies wurde von der Verfasserin nicht bestritten. Selbst eine Frau, die sich weit vom Kollektiv-Weiblichen entfernt hat – wie hätte sie denn sonst zu einer der führenden Persönlichkeiten dieser Bewegung werden können? – sieht ihr eigenes Geschlecht, dessen Naturhaftigkeit sie ihre geschichtliche Kraft entgegenstellt, so, wie es von der Wucht träger unbewegter Geschichte zusammengepreßt wurde. Erst mit dem Auftreten solcher Persönlichkeiten wie unsere Jubilarin es ist, wurde das Weib "geprägte Form, die lebend sich entwickelt". Zweitens: der hellseherische und stark sinnliche Dostojewski, dessen Männergestalten fast unübersehbar in ihrer individuellen Mannigfaltigkeit sind, kennt nur zwei Frauentypen, nämlich das hysterisch-dämonische Weib (Nastassia Filippowna, Gruschenka) und die still-starke Frau (Sonja, Dunja, Marie). Sieht man genauer zu, dann findet man aber nur einen Typus, die liebesverkrampfte, still und laut an der Liebe leidende, naturhaft-elementar dem Manne verhaftete Frau, deren ganzes Glück eben diese ganze Qual ist. Keine schöpferischen Ideen lösen Dostojewskis Frauen von dem erotischen Bann, der über sie verhängt ist: sie sind Naturwesen, aber keine geschichtlichen Persönlichkeiten wie etwa Raskolnikoff, Iwan, etc. es sind.

Die Frau also, die von der Geschichte die Aufgabe empfangen hat, sich abzusondern, schöpferisch und Führerin zu werden, ist damit selbst zum Range einer geschichtlichen Persönlichkeit erhoben. Dies ist Rosa Mayreder! Wieder ist es kein Zufall, daß diese Frau selbst ein so eminentes Interesse für die Geschichte und so hervorragende Kenntnisse auf diesem Gebiet hat. Sie hat zutiefst begriffen, das die Geschichte, welche den Menschen zum Individuum erhöht, verpflichtet und Verantwortlichkeiten begründet, während die Natur entlastet, da diese das Kollektive

dem Einzelnen vorzieht. Rosa Mayreder, deren Freundschaft ich voll Dankbarkeit empfinde, hat mitgeholfen, das Weib geschichtlich zu machen, es zur Frau umzugestalten. Die Leistung, die damit diese Frau vollbracht hat, kann vielleicht ein Mann – gewöhnt an die Rolle des Männlichen in der Geschichte – gar nicht genau abschätzen, insbesondere wenn man bedenkt, wann Rosa Mayreders Wirksamkeit einsetzte, aus welcher Umgebung sie hervorbrach und in welchem Lande sie zur Entfaltung kam. Ist ja Österreich ein Land – fast möchte man sagen, mit stark weiblicher Art -, das zur geschichtlichen Trägheit neigt. Was muß an geistiger, seelischer und gedanklicher Willenskraft in dieser Frau vorhanden sein, wenn sie es vermochte, der Kollektivität ihres Geschlechtes mit Erfolg ihre schöpferische Sonderart entgegenzustellen.

Rosa Mayreders Leben und Werk sind Zeugnisse dafür, daß die Gesetze der Geschichte nicht unabänderlich sind. Für diese hoffnungserfüllte Erkenntnis müssen wir ihr danken!

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