aus
Fabeleien über göttliche und menschliche Dinge
Die
Stimme Gottes
In tiefer Verborgenheit, ganz allein mit sich
selbst, lebte die einsame Seele, eingeschlossen in ihren vier Wänden,
ohne Freund und Bruder, ohne Gefährten und Gespielen.
Von ferne her scholl der Lärm des Lebens in ihre
Einsamkeit. Verlockend und beängstigend scholl es herauf, ein
schwellendes Brausen, das Wunder verkündete und Verheißungen mit sich
führte. Wie der Ruf einer Mutter scholl er herauf, die ihre Kinder um
sich versammeln will. Dort, in jener Ferne, so dachte die Seele, stand
das Leben gütig und herrlich und tränkte aus sprudelnden Quellen die
Durstigen und teilte Gaben aus mit mütterlichen Händen an alle, die
herbeikamen. O rauschender Brunnen, ich lausche deiner Verheißung; ich
möchte meine Hände tauchen in deine Flut und mich forttragen lassen
von dem Strome, den du aussendest. Auf deine spiegelnden Schalen möchte
ich mich beugen und schöpfen aus deiner Fülle, die du in silbernen
Strahlen ausgießest über die Erde.
Und während sie lauschte, schien die Stimme
deutlicher zu werden und beredter, unwiderstehlicher. Sie rief die
einsame Seele mit Macht, und etwas antwortete ihr aus der Verborgenheit
- das war die Sehnsucht, welche die einsame Seele erfaßt hatte, die
Sehnsucht nach der Gemeinsamkeit, nach der großen, verschwenderischen,
seligen Gemeinsamkeit, die Wärme gibt und Stärke, die reich macht
durch Geben und Empfangen.
Da sann die einsame Seele darauf, ihre Kammer zu
verlassen und hinabzugehen in das Gewühl des Marktes. Aber sie
erschrak, wenn sie sich vorstellte, daß sie es wirklich täte. Denn sie
fürchtete sich vor lauten Stimmen und harten Fäusten, vor dem
täppischen Zugreifen und dem groben Anfassen fremder Hände, sie
fürchtete sich vor Blicken, die neugierig sind, und vor Blicken, die
gleichgültig sind, vor Blicken, die abweisen, und vor Blicken, die
besudeln.
Doch ihre Sehnsucht war stärker als ihre Scheu; sie
wollte der Stimme gehorchen, die sie rief. Und sie verhüllte ihr
Gesicht in sieben Schleier, und über ihre Gestalt schlug sie sieben
Mäntel, daß kein beleidigender Blick hindurch dringe und niemand sie
erkenne in ihrer Verkleidung.
So ging sie hinunter auf den Markt in bebender
Erwartung großer Erlebnisse. Ganz still, ganz eingezogen stellte sie
sich in einen Winkel, ganz still wartete sie darauf, daß unter den
Vorübergehenden diejenigen kämen, die sich zu ihr gesellten, Freunde
und Gefährten, die sie mit sich fortführten zu den erschütternden
Kämpfen und jauchzenden Siegen des Lebens, zu den den Festen und
Spielen, davon sie träumte. Sie wartete auf diejenigen, zu denen sie
gehören wollte, zu den Eroberern in schimmernden Harnisch, die in ihren
reinen Händen ein flammendes Schwert tragen und einherziehen mit
leuchtenden Angesicht, glühend von heiligem Zorn und heiliger Liebe.
Aber niemand beachtete sie, niemand kümmerte sich um
sie. Es waren lauter Fremde, die da auf dem Markte ihr Wesen trieben;
kein Streiter Gottes war unter ihnen, nichts Verheißungsvolles ging von
ihnen aus. Auf ihren Gesichtern lag breites Behagen oder wütender
Eifer; ihre Fäuste ballten sich drohend oder öffneten sich gierig nach
den schmutzigen Münzen, die unablässig von einem zum andern rollten.
Immer hallte die Luft von ihrem Feilschen und Fluchen wider, von ihrem
heulenden Grimm und ihrer heulenden Lust. Sie begrüßten sich, sie
beschimpften sich; sie schlugen sich, sie vertrugen sich; sie
schüttelten einander die Hände, sie versetzten einander Fußtritte,
bewarfen einander mit faulen Äpfeln; sie wühlten im Kehrricht mit
gemeinen Gebärden und wälzten sich grinsend in der Gosse.
Da stand nun die einsame Seele in ihrem Winkel und
betrachtete das Treiben des Marktes wie ein Zuschauer, der sieht, was
auf der Bühne vor sich geht, und der nicht mitspielt in dem Stück, das
auf jenen Brettern aufgeführt wird. So oft jemand sich ihr näherte,
erhebte sie vor Scham und Schrecken; wenn es geschah, daß ein
Vorübergehender ein flüchtiges Wort an sie richtete, zog sie sich
tiefer zurück in die Verborgenheit ihrer Schleier und Mäntel, erfüllt
von Widerwillen und Enttäuschung. Vergeblich horchte sie nach der
Stimme, die sie vernommen hatte: kein ahnungsvollen Brausen, kein Tönen
wunderbarer Geheimnisse - verschlungen von gemeinen Geräuschen das Wort
der Verheißung..(...)
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